Dienstag, 2. April 2013

Unvernunft: Abtreibung

Ein Gedanke, der mich schon lange vor meinem Katholischwerden davon überzeugte, dass mit der "üblichen" Sicht auf das Thema Abtreibung irgendwas nicht stimmte, war die Sache mit der Ungewissheit.
Ich meine damit die Ungewissheit darüber, "ob/ab wann" der Mensch entwicklungsbiologisch ein Mensch ist. Klar kann man versuchen, das an einzelnen Etappen der Ontogenese festzumachen und vom Nervensystem, dem Kreislauf oder dem Grad der Selbstständigkeit des sich heranbildenden Organismus reden, um zu erklären, ab da oder dort sei der Mensch ein Mensch. Aber dieser Standpunkt offenbarte für mich damals bereits zwei entscheidende Schwachstellen:

1) Das würde bedeuten, dass das Menschsein und damit die Menschnwürde im Grunde genommen auch vom Datum bzw. der Uhrzeit abhängig gemacht wird... ab diesem Tag oder ab dieser Stunde ist es ein Mensch.

2) Die (körperliche) Enwicklung eines Menschen dauert doch offensichtlich länger als neun Monate... bis zum 25. Lebensjahr ist der Organismus im Grunde noch in dieser Entwicklung begriffen. Dass eine Schwangerschaft  beim Menschen neun Monate dauert ist ja im Grunde nur eine Kompromisslösung der Natur: Wie lange braucht das Immunsystem, um für die Umwelt bereit zu sein und wie groß kann der Kopf des Kindes werden und trotzdem noch durch das weibliche Becken passen, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich das Weibchen mit diesem Becken ja noch im aufrechten Gang fortbewegen können muss (Rinder z.B. haben da wegen ihrer Quadrupedie deutlich mehr "Spielraum"). Was hielte also jemanden davon ab, auch noch weit nach der Geburt, einem Menschen sein Menschsein aufgrund irgendwelcher ontogenetischer Faktoren abzusprechen? (Peter Singer läßt grüßen, aber er steht mit seiner Ansicht ja leider nicht allein...)


Besonders gravierend fand ich jedoch, davon ausgehend, die Tatsache, dass eine einheitliche und v.a. eindeutige Festlegung nicht gelang... es gab einfach zuviele verschiedene "Momente" die als "Rubikon der Menschwerdung" angesehen wurden. Und diese Ungewissheit allein brachte mich (damals ein Agnostiker) auf den Gedanken, dass hier folglich ein großes Risiko besteht: Das Risiko, falsch zu liegen.
Wenn ich beispielsweise die Ansicht vertreten würde, ein Embryo ohne zentrales Nervensystem (ZNS) könne nicht denken und fühlen und mangels Nerven auch keinen Schmerz verspüren, und wäre darum kein Mensch und problemlos zur Abtreibung freigegeben, aber jemand anders eine andere These vertritt, wonach bereits einige Tage vor der Ausbildung des ZNS aufgrund dieses und jenes Faktors der Embryo als Mensch eingestuft werden müsste, bin ich dann bereit, das Risiko in Kauf zu nehmen, dass ich mich vielleicht irre und folglich aufgrund einer falschen These einen Menschen zum Abschuss freigebe?

Weil man es also offenkundig nicht sicher sagen kann "ab wann", schien es mir ziemlich plausibel, auf Nummer sicher zu gehen und es folglich ganz zu unterlassen, hier einen Zeitpunkt festzulegen. Allerdings habe ich diese Gedanken dann erst viel später, inzwischen katholisch, weitergedacht und festgestellt, dass der einzig objektiv sichere und unzweifelhafte Zeitpunkt der Entstehung eines Menschen, der der Befruchtung ist: Aus einem unbefruchteten Ei oder aus einem Spermium kann nichts wachsen oder entstehen... diese Zellen leben eine Weile vor sich hin und sterben dann. Aber wenn sie verschmelzen - beginnt das Wunder!


Obwohl ich ihn nicht sonderlich mag, habe ich mich im letzten Herbst von Studiums wegen etwas mit Kant beschäftigen müssen und ich stieß dabei auf eine nette Passage im ersten Teil seiner Metaphysik der Sitten (Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre). Er behandelt in § 28 (1. Teil, 2. Hauptstück, 3. Abschnitt), nachdem er zuvor das "Eherecht" behandelte, das, was er "Elternrecht" nennt. Dort erleutert er zunächst das "angeborene Recht" des "Erzeugten", also der Kinder, auf die Versorgung durch ihre Eltern bis sie sich selbst versorgen können. Aber dann betritt Kant unvermittelt das Gebiet der vorgeburtlichen Existenz des Kindes, wenn er schreibt:
»Denn da das Erzeugte eine Person ist, und es unmöglich ist, sich von der Erzeugung eines mit Freiheit begabten Wesens durch eine physische Operation einen Begriff zu machen: so ist es eine in praktischer Hinsicht ganz richtige und auch notwendige Idee, den Akt der Zeugung als einen solchen anzusehen, wodurch wir eine Person ohne ihre Einwilligung auf die Welt gesetzt, und eigenmächtig in sie herüber gebracht haben; für welche Tat auf den Eltern nun auch eine Verbindlichkeit haftet, sie, so viel in ihren Kräften ist, mit diesem ihrem Zustande zufrieden zu machen.«

Kant sieht das ganz nüchtern und "praktisch": er nennt es "richtig und auch notwendig" die Zeugung als den Augenblick der Erzeugung einer Person anzunehmen, und er sieht bei den Eltern die Verbindlichkeit durch eben diesen Akt der Erzeugung gegeben, nicht erst durch die Geburt oder andere Stadien der Entwicklung des Kindes. In dem direkt daran sich anschließenden Satz wird der "Pro-Life"-Ton noch deutlicher:
»Sie können ihr Kind nicht gleichsam als ihr Gemächsel (denn ein solches kann kein mit Freiheit begabtes Wesen sein) und als ihr Eigentum zerstören oder es auch nur dem Zufall überlassen, weil an ihm nicht bloß ein Weltwesen, sondern auch ein Weltbürger in einen Zustand herüber zogen, der ihnen nun auch nach Rechtsbegriffen nicht gleichgültig sein kann.«

Die Eltern können demnach das Kind nicht als ihr Eigentum betrachten und nach Mutwillen zerstören... soviel zu "mein Bauch gehört mir".
Find ich nett vom alten Immanuel.

Abtreibung ergibt überhaupt keinen Sinn, ist nicht wirklich vernunftgemäß... meint sogar Kant.

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