Freitag, 21. März 2014

Dürftige Theologie - 1 - Orthodoxe Praxis

Bitte die Einführung (hier) beachten!

Die zweite Eheschließung zu Lebzeiten des ersten Partners und die Zulassung zum Kommunionempfang... In dieser scheinbar einzigen in deutschen Landen beachtenswerten Problematik - denn wir haben ja sonst absolut überhaupt keine Probleme in der Kirche (eine aktuelle Dokumentation auf arte mit dem Titel "Aufbruch im Vatikan" macht den Auftackt mit Papst und Weltkirche und was da alles zu tun sei, konzentriert sich aber dann doch ausschließlich auf dieses eine Thema... in Deutschland!) - wird immer wieder, auch von Fachleuten, der Verweis auf die orthodoxe Tradition angeführt mit dem Schlagwort "oikonomia". Ein Zauberwort geradezu, das Freiheit und Erlösung verspricht!
Meines Erachtens haben die, die eine solche Übernahme der orthodoxen Praxis als "Möglichkeit" vorbringen, entweder keine Ahnung wovon sie reden, oder sie enthalten ihren Zuhörern und Lesern absichtlich wichtige Informastionen vor, denn ganz so toll und "befreiend", wie das immer dargestellt wird, ist die orthodoxe Praxis nicht. Ich habe das Thema bereits einmal (hier) angerissen, will es aber noch etwas weiter ausführen um zu verdeutlichen, warum man sicher sein kann, dass selbst eine teilweise Übernahme dieser Praxis (und der dahinter stehenden Theologie) garantiert nicht das ist, was von den "Reformern" gewollt wird.

Es sei an dieser Stelle auf einige Besonderheiten hingewiesen, die ich hier nicht eigens bearbeiten werde: 
1) "Die Orthodoxe Kirche" gibt es nicht, daher mag es in den verschiedenen orthodoxen Kirchen merkliche Unterschiede geben zu dem, was ich hier als einen gewissen orthodoxen Konsens darzustellen versuche. 
2) Es gilt zu berücksichtigen, dass die orthodoxe Theologie vom Sakrament der Ehe eine in vielerlei Hinsicht andere ist als im Westen, weswegen eine 1 zu 1-Übernahme der dortigen Vorgehensweise sowieso theologischer Mumpitz wäre. 
3) Und weil es hier speziell um den Kommunionempfang durch Wiederverheiratete geht: Auch die Eucharistie und die Beichte werden in der Orthodoxie anders gehandhabt. Es wird (durch die Laien) generell selten kommuniziert (mancherorts nur einmal im Jahr), aber wenn, dann geht dem i.d.R. immer der Empfang des Bußsakramentes voraus.
4) Es gibt keine offizielle systematische Festschreibung oder Regelung dessen, was in der orthodoxen Theologie die "oikonomia" ausmacht und wie weit sie reicht.
Alles ist also cum grano salis zu lesen.
 

Das griechische Wort oikonomia besteht aus gr. oikos = Haus (gemeint ist die Welt der Menschen) und nomos = Gesetz. Der oikonomos, der "Hausverwalter", ist Christus selbst. Die oikonomia ist dementsprechend die Gesetzgebung Gottes über die Menschen, sein Handeln an ihnen. Das pastorale Prinzip der oikonomia (Ökonomie) wie es bei dem hier zu besprechenden Thema gebraucht wird, meint demgegenüber etwas dezent anderes: Ökonomie bezeichnet hier die Möglichkeit des jeweiligen Hirten (d.i. der Bischof), ein bestimmtes Gesetz in der Parxis nicht in strikter Weise durchzusetzen (gr. akribia), sondern es mit einer gewissen Laxheit ("ökonomisch") anzuwenden, ohne dabei irgendwelche dogmatischen Grundsätze zu schwächen. Die Ökonomie ist nur anwendbar auf konkrete Einzelfälle und kann niemals eine allgemeine Regelung sein. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Kommunionempfang für Angehörige anderer christlicher Konfessionen (Interkommunion): Das ist eigentlich verboten, wird aber gelegentlich ("ökonomisch") gestattet. Das ist jetzt wichtig: Dass in der orthodoxen Tradition eine zweite "Eheschließung" möglich ist, muss verstanden werden als eine solche laxe Anwendung der bestehenden Gesetze, und zwar im Sinne einer gnädige Herablassung (gr. katabasis) Gottes zu den schwachen und stets der Sünde verfallenen Menschen ("wegen eurer Hartherzigkeit...").

Nun muss man bedenken, dass eine solche Laxheit in der Anwendung nicht das Gesetz ändert und auch die Sünde nicht abschafft. Eine Scheidung ist Sünde, eine Wiederheirat auch. Wenn also z.B. ein orthodoxer Bischof entscheidet, jemandem eine zweite Eheschließung zu Lebzeiten des ersten Partners zu gestatten (er kann diese übrigens auch verweigern!), bleibt dieser Akt dennoch ein schwerer Verstoß gegen göttliche Gesetze! Und dieser Sachverhalt wird den zu Trauenden auch überaus deutlich bewusst gemacht: Diese "zweite Ehe" gilt als eine falsche, eine unrechtmäßige (gesetzwidrige!), sündhafte und defizitäre Verbindung, die überdies durchaus nicht von Feierlichkeit, sondern von Bußfertigkeit geprägt sein soll. Die orthodoxe Theologie betrachtet nur die "erste" Ehe als richtige und wahre Ehe. Das Ehesakrament heißt in der orthodoxen Tradition übrigens "Sakrament der Krönung", was dadurch ausgedrückt wird, dass bei der Trauungsliturgie die Eheleute symbolisch gekrönt werden. Bei einer zweiten Trauung zu Lebzeiten des ersten Partners fällt dieser Ritus aus. Die zweite Verbindung ist, wie gesagt, einer Herablassung aufgrund von Hartherzigkeit geschuldet und dient durchaus nicht der Ehre Gottes. Sie soll ein Leben lang vom Charakter der Buße geprägt sein (ob das dann auch so ist, steht auf einem anderen Blatt). Sehr unterschiedlich gehandhabt, wird in den verschiedenen orthodoxen Kirchen die Dauer des auf die "zweite Trauung" folgenden Ausschlusses vom Empfang der Kommunion. Mehrere Jahre sind aber nicht unüblich.

Dieser Bußcharakter der zweiten Verbindung kommt besonders gut in der Trauungsliturgie zum Ausdruck, in der, neben dem Wegfall der Krönung und einiger anderer sonst üblicher Elemente,  an zentraler Stelle nicht das bei der "ersten" Hochzeit gebrauchte feierliche Gebet über die Verlobten folgt, das Gottes Führung in der Heilsgeschichte und sein Handeln im Zusammenführen der Gatten in den Mittelpunkt stellt. Es folgen vielmehr Bußgebete. Das erste dieser Gebete nimmt Bezug auf die Hure Rahab (Jos 6,25: "So ließ Josua die Hure Rahab und das Haus ihres Vaters sowie alles, was zu ihr gehörte, am Leben.") und ist durchsetzt vom Eingeständnis der Schuld und vom wiederholten Flehen um Verzeihung und die gnädige Gewährung von Reue und Buße.
Ein anderes Gebet das hier zum Einsatz kommen kann ist an Paulus angelehnt, der das "Zugeständnis" (1Kor 7,6.9) macht: "Wenn sie sich aber nicht enthalten können, so sollen sie heiraten, denn es ist besser, zu heiraten, als vor Verlangen zu brennen." [Angemerkt sei, dass diese paulinische Aussage sich explizit auf Witwen bezieht, also in diesem Fall der erste Partner verstorben ist. Das ist freilich eine völlig andere Situation (in der die Kirche immer schon eine erneute Eheschließung gestattete, da das Eheband nach katholischer Lehre durch den Tod gelöst wird!) als die, wenn der erste Partner noch lebt, denn in diesem Fall besteht ja das "erste" (weil einzige) Eheband noch! Außerdem gibt Paulus hier ausdrücklich nur seine Meinung wider ("Ich wünsche aber...", "... kein Befehl"), er tradiert keinerlei Gebot und stellt erst recht nicht das eindeutige Gebot Jesu in Zweifel. Zu berücksichtigen ist auch, dass eine solche Deutung jener Paulusworte in krassen Konflikt mit dem gerät, was Paulus direkt im Anschluss, und diesmal als Gebot des Herrn!, schreibt: "Den Verheirateten aber gebiete nicht ich, sondern der Herr, dass eine Frau sich nicht vom Mann scheiden lassen soll - wenn sie aber doch geschieden ist, so bleibe sie unverheiratet oder versöhne sich mit dem Mann - und dass ein Mann seine Frau nicht entlasse." (1Kor 7,10-11)]


Aus dem Gesagten müsste deutlich werden, dass eine Einführung dieser Praxis in die katholische Kirche wohl nicht ganz dem entspräche, was reformfreudige Katholiken sich wünschen. Sie wollen bei der zweiten Hochzeit Feierlichkeit, Freude und eine dem Gewissen schmeichelnde Segnung und Belobhudelung ihrer Verbindung in höchsten Tönen. "Gott segnet euch", "Gott hat euch zusammengeführt", "Gott freut sich mit euch" etc.. Sie wollen ihre "zweite Ehe" genauso anerkannt und wertgeschätzt sehen wie jede andere "erste Ehe" auch. Es darf auf alle Fälle keine Sünde sein, was sie da tun. Die bloße Andeutung eines Defizits würde als menschenunwürdige Stigmatisierung empfunden (vgl. dazu hier)!
Eine solche "ganzheitliche" Anerkennung wäre etwas völlig anderes als das, was die Orthodoxie tut!

Übrigens ist diese orthodoxe Praxis nicht nur im Blick auf ihre biblische Begründung durchaus hinterfragbar (sie stützt sich v.a. auf die Unzuchtsklausel in Mt 5,32, worauf ich hier ausführlich eingegangen bin), sie ist auch in der Lehrtradition eine recht späte Entwicklung und weicht eindeutig von der allgemeinen kirchlichen Praxis der ersten christlichen Jahrhunderte ab. Dem werde ich mich ein anderes Mal widmen, ausgehend von den eher fragwürdigen Väter-"Argumente" von Walter Kasper (einige Ansätze gibt es hier).


PS. Noch etwas steht einer Übernahme des Ökonomie-Prinzips durch den Westen im Wege, was ich oben bei den vier Punkten nicht erwähnt habe: Die oikonomia erstreckt sich nicht bloß auf das rein kirchliche Recht, sondern auch auf das göttliche. Und das ist genau der springende Punkt: Die Zulassung zu einer "zweiten Ehe" würde ja göttliches Recht verletzen. Eine solche Handlung ist aber nach katholischem Verständnis undenkbar. Das göttliche Recht ist unantastbar, selbst für den Papst... dieser Punkt wird in dieser kleinen Reihe vermutlich auch noch eine Rolle spielen.



Zum Bild: 
Orthodoxe Beichte. Über das Evangeliar gebeugt, legt der Priester dem Pönitenten das Epitrachelion (die Stola) über den Kopf.

3 Kommentare:

  1. Hier die beiden Gebete (Übers. von „Nietenolaf“ im Forum „kreuzgang.org“):

    "Unser Gebieter und Herr und Gott, der Du das Verborgene im Menschen kennst, der Du Rahab der Hure vergeben und des Zöllners Reue angenommen hast, gedenke nicht unserer durch Unwissenheit und Jugend bedingten Sünden. Denn wenn Du Gesetzlosigkeit zurechnest, Herr, Herr, wer wird vor Dir bestehen (Ps. 130:3), und welches Fleisch würde vor Dir gerechtfertigt? Du allein bist gerecht, sündlos, heilig, gnadenreich und reich an Güte, und Dich reuen die Missetaten der Menschen. Du, Herr, hast angenommen Deine Knechte (Namen), verbinde sie in Liebe zueinander: gewähre ihnen die Reue des Zöllners und die Tränen der Hure, damit sie mit Reue von ganzem Herzen in Einigkeit und Frieden Deine Gebote erfüllend, Deines himmlischen Reiches teilhaftig werden. Denn Du bist der Erhalter aller Dinge, und Dir senden wir Lobpreisung empor, dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, jetzt und immerdar und in alle Ewigkeit. Amen."

    "Gott, unser Gott, der Du nach Kana in Galiläa gekommen bist und die dortige Hochzeit gesegnet hast, segne auch diese Deine Knechte, die sich durch Deine Vorsehung zur Gemeinschaft der Ehe verbinden: segne ihren Eingang und ihren Ausgang (Ps 121:8 ), vermehre ihr Leben in Güte, nimm ihre Kränze in Deinem Reich an, erhalte sie rein und unbefleckt und unbescholten in alle Ewigkeit. Amen."



    Weitere Infos zu dem Themenkomplex:
    - http://www.orthodoxie-in-deutschland.de/03_textsammlung/vater_sergius_heitz/mysterium_kroenung.html

    - http://orthodoxeurope.org/page/3/16.aspx

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    1. Vielen Dank für den Text!
      Habe den Thread im "kreuzgang" mal gesucht: Da merkt man, wie unterschiedlich die Praxis gehandhabt wird... Soweit ich weiß, fehlt die Erfragung des freien Willens nicht überall, auch werden die Bußgebete m.W. oft auch direkt an die Stelle der üblichen Gebete gesetzt und nicht bloß zusätzlich gebetet.

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  2. Danke für die hilfreiche Aufklärung!

    Wenn diese Praxis mit den entsprechenden Gebeten wirklich in den Westen einwandern würde, könnte das zumindest eine partielle Rückkehr des Lateins in den liturgischen Vollzug fördern ... ;-)

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