Dienstag, 18. November 2014

Benedikts Einwurf zur Debatte?

Ich hatte bereits vor zwei Monaten (hier) darauf aufmerksam gemacht, dass der emeritierte Papst sich in die aktuelle Debatte um die wvG einmsichen würde - durch die Überarbeitung eines über 40 Jahre alten Beitrags (1972) zum Thema, auf den sich Kardinal Kasper maßgeblich stützt (meine Bemerkungen zu Ratzingers Text und mehr: siehe Link). Das Ergebnis liegt zwar schon eine ganze Weile vor, ist nun aber auch öffentlich für jeden einzusehen - und es ist wenig überraschend.

Nun ringt man um die Deutung. Die einen (hier z.B. Prof. Schockenhoff) sehen darin eine Positionierung, die aus dem vor 40 Jahren Geschriebenen nicht zu folgern sei (Benedikt also unsauber argumentiert), die anderen (hier) stilisieren BXVI gleich mal zum Gegenpapst.
Wie üblich stimmt weder das eine, noch das andere. Wie ich in meinem vorigen Beitrag dazu (siehe ersten Link oben) zu zeigen versuchte, ist sich Ratzinger bewusst geworden, dass er sich damals geirrt hatte. Schockenhoff versucht freilich, wie Kasper, den historischen Befund als Argument ins Feld zu führen, wie es auch Ratzinger damals tat, aber er übersieht, dass der Papst emeritus die historischen Befunde keineswegs minimiert oder infrage stellt, sondern das tut, was er (und Kasper) eben zuvor nicht getan haben: Er ordnet die Befunde in den größeren Kontext ein und offenbart somit ihre Marginalität im Hinblick auf die aktuelle Debatte.
Dass es die von Ratzinger beschriebenen (und von Kasper in verfälschter Form übernommenen) Vorkommnisse in der frühen Kirche gab, leugnet niemand. Die Frage ist aber: Wie deuten wir sie? Welches Gewicht haben diese Vorkomnisse? In welchem Kontext stehen sie? Das sind die Fragen, die sich Kasper & co. nicht stellen... sie nutzen die Kirchenväter nur als Steinbruch, aus dem sich einige vereinzelte ihre Position scheinbar stützende Satzfragmente herausbrechen lassen (vgl. meine Ausführungen hier, Teile 3 bis 6).

Anders als Schockenhoff uns glauben machen will, betrifft die Überarbeitung nämlich nicht nur den Abschnitt "Schlussfolgerungen", sondern sie setzt bereits davor ein, nämlich in der Bewertung des historischen Befundes. (Wie Kasper und andere [auch in anderen Bereichen der Theologie, etwa der Liturgie], hat auch Schockenhoff den Schuss nicht gehört: Die historische Forschung hat nämlich in den letzten 40 Jahren neue Erkenntnisse gewonnen... ja, ehrlich. Aber das möchte man natürlich nicht hören, es stört beim Selbstbestätigen.) Hier mal der letzte Textabschnitt der historischen Bestandsaufnahme direkt vor den "Schlussfolgerungen" (ich gebe den gleichbleibenden Text kursiv wider, den neuen normal, einzelne Unterschiede mache ich mit Durch- und Unterstreichungen kenntlich):
»Sie [d.i. die Kirche] kann an sich nur eines: "Gemäß der lehre des Evangeliums und des Apostels" leben und lehren. Aber sie kann die Grenzfälle nicht völlig ausschließen, in denen sie zur Verhütung von Schlimmerem unterhalb dessen verbleiben muss, was sie eigentlich sollte was ihr aufgetragen ist. Zwei solcher Grenzsituationen kollektiver Art stehen bis dahin (das heißt bis Trient) vor Augen: die Übergangssituation vom Heidentum zum Christentum (Gregor II.); die Kircheneinheit, die eine Begrenzung auf das Minimum nötig macht. Niemand wird behaupten wollen, daß dies die einzigen und abschließenden Fälle sind, bei denen überdies wiederum im einzelnen mit viel Sorgfalt gefragt werden muß, wo konkret der Fall der Nachgiebigkeit gegeben sein kann und wo nicht. Eine allgemeine Norm, die das an sich unmöglich macht, wird es dafür sicher nicht geben. Was dabei gemeint ist, könnte man wohl am ehesten mit der Formel definieren, die Augustinus im Ringen um die Kircheneinheit mit der vom Donatismus gespaltenen Kirche Afrikas versucht hat: Er spricht von "tolerare pro pace". Die Wiederherstellung der Einheit war für ihn ein so großes Gut, dass es ihm richtig und nötig schien, in einer Übergangssituation Verhältnisse zu tolerieren, die in sich nicht annehmbar waren, aber um des größeren Gutes der Einheit willen in Kauf genommen werden konnten. Daraus kann man keine festen Regeln ableiten. Aber es würde sich doch lohnen, wie mir scheint, genauer nachzufragen, was Augustinus konkret im Auge hatte und ob sich daraus Schlussfolgerungen für spätere Zeiten ziehen lassen.« (JRGS 4, 614f.)«


Als Unterschied wird deutlich: Hatte Ratzinger zuvor sehr schnell den Sprung gewagt, von jenen sehr speziellen Grenzsituationen, die die Gesamtkirche betreffen, das Toleranzprinzip auch auf andere (maßstäblich kleinere) Situationen hin zu dehnen und gar eine Verhinderung dieser Dehnung auszuschließen, so ist der emiritierte Papst sehr viel vorsichtiger, belässt die Grenzsituationen dort, wo sie sind und gibt damit den Schlüssel zum Verständnis des historischen Befundes in den vorangehenden Kapiteln. Wo "Ausnahmen" breit denkbar werden konnten, betrifft dies ganz besondere "Grenzsituationen" der Kirche als solcher (Mission, Kircheneinheit); in wie fern sich hier Rückschlüsse auf die Pastoral innerhalb einer "etablierten" Kirche ableiten lassen, muss, wenn überhaupt, noch genauer eruiert werden.

Der zweite Abschnitt des Kapitels 4 (Schlussfolgerungen) ist weitestgehend neu verfasst und deutlich länger als zuvor, und bietet Impulse zu einer konkreten Pastoral von wvG, auch über aktuell geltende Normen hinaus (z.B. Zulassung zu bestimmten Ehrenämtern). Familiaris consortio wird dort ebenso besprochen, wie die einschlägigen Normen des CIC von 1983 und die Möglichkeiten zur Straffung von Ehenichtsigkeitsverfahren. Der Kommunionempfang für wvG wird, statt der vorherigen ausdrücklichen Befürwortung, ausgeschlossen, und zwar indem einfach die geltende Lehre konstatiert wird. Dass der kaspersche Vorstoß nicht explizit abgewehrt wird, zeigt, dass der Emeritus sich hier keineswegs in die Diskussion "einmischen" will... er konstatiert nur, wie es ist. Wenn das schon als "Einwurf" gilt, dann ist das eben so. Sehr deutlich bespricht der emeritierte Papst die große Zahl der "getauften Heiden" in der Kirche und fragt nach den Konsequenzen für die Ehepastoral.


Was die Fabeleien vom "Gegenpapst" anbetrifft, ist es vielleicht hilfreich, sich Folgendes zu überlegen: Wo Benedikt XVI. stand und steht, weiß jeder. Wäre nun dieser vierte Band seiner Gesammelten Schriften mit dem unveränderten Beitrag von 1972 erschienen, wäre auch dieser, ohne jede Bearbeitung, als Wortmeldung aufgefasst worden und zwar zugunsten einer Position, die Joseph Ratzinger schon sehr schnell nach der Abfassung jenes Artikels aufgegeben hat. Mehr als einmal hat sich Joseph Ratzinger explizit von seiner damaligen Position distanziert. In so einer Situation - oder irgendwann in den nächsten Jahren - soetwas zu publizieren, wäre fatal gewesen. Dass dieser Band der JRGS gerade jetzt erscheint, ist, nach allem was ich weiß, tatsächlich Zufall. So oder so wäre die Veröffentlichung problematisch.


Dass es eine (ob nun gezielte oder den Umständen geschuldete) Wortmeldung zur Diskussion ist bzw. so wahrgenommen wird, steht außer Frage. Aber weder beruft sich der emeritierte Papst hier auf irgendeine ihm zukommende Autorität (die ihm nicht mehr zukommt!!), noch bringt er irgendetwas wirklich "Neues" in die Debatte ein. Er vertritt als Theologe, der er nach wie vor ist, eine Position, wie sie auch viele andere ebenso, auch mancher im engsten Beraterkreis um Papst Franziskus, vertreten. Und, nochmal: Benedikt bezieht nicht explizit Position gegen Kasper - er sagt nur, wie es (siehe Katechismus) ist.
Ob sich Franziskus davon besonders beeindrucken lässt und das Thema nun als "geklärt" betrachtet, halte ich für fraglich; er wird sicherlich die breit geführte Debatte nicht unterbinden und die Synode im kommenaden Jahr wird wiederum kontrovers darüber beraten. 
Es kommt allein dem Papst zu, hier eine Entscheidung zu treffen.

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